Globalisierungskritik neu denken

Globalisierungskritik neu denken

Thomas Eberhardt-Köster stellt sein neues Buch vor

Dieses Buch liefert keine vorgefertigten Antworten – so leitete Thomas Eberhardt-Köster die Vorstellung seines neuen Buches “Globalisierungskritik neu denken” in der Buchhandlung BiBaBuZe in Düsseldorf-Bilk ein. Gut 25 Zuhörer:innen hatten sich am 10. August 2024 bei sommerlichen Temperaturen eingefunden, um mehr über den Stand der Globalisierungskritik zu erfahren und die Thesen des Autors zu diskutieren.

Eine andere Globalisierung ist noch immer möglich

20 Jahre nach Beginn der Globalisierungskritik hat sich einiges in der Welt geändert – viele Fragen sind jedoch gleich geblieben. Inspiriert wurde Eberhardt-Köster von den Diskussionen in den vergangenen Jahren, die das Netzwerk Attac zum aktuellen Zustand der Globalisierung und der Neubestimmung der eigenen Positionen geführt hatte. Eberhardt-Köster hat diese Neupositionierung als Mitglied des Koordinierungskreises von Attac begleitet, stellt aber in dem Buch seine persönliche Sichtweise dar. Er ordnet das Weltgeschehen in ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Fragestellungen ein, zeigt Tendenzen und Entwicklungen und skizziert, wie eine andere Globalisierung unter den heutigen Bedingungen möglich, wünschenswert und auch machbar ist.

Wie sieht ein gutes Leben für alle aus?

So startete die Buchvorstellung mit einer Utopie, die Stephanie Handtmann den Zuhörer:innen vortrug. Die Utopie spielt im Jahr 2035 und zeigt, wie ein gutes Leben hier und anderswo aussähe, wenn es gelänge, soziale Rechte und Klimagerechtigkeit im globalen Maßstab Wirklichkeit werden zu lassen. Denn wie wollen wir die Welt verändern, wenn wir kein Verständnis davon haben, wie sie aussehen soll? Die erstaunten Reaktionen des Publikums machten deutlich, wie weit die Utopie von der erlebten Realität entfernt ist, und Thomas Eberhardt-Köster erläuterte im Folgenden die aktuelle Situation.

Die Globalisierung ist nicht auf dem Rückzug

Globalisierung heute: Ist sie rückläufig, stagniert sie? Eberhardt-Köster definiert Globalisierung als eine Verdichtung von Raum und Zeit, als eine weltweite Verflechtung – kulturell, ökonomisch, ökologisch und sozial, wobei dem Ökonomischen eine dominante Funktion zukommt. Er sieht die Globalisierung nicht auf dem Rückzug. sondern eher dabei sich zu diversifizieren und anders zu gestalten. Denn weiterhin ist zu beobachten, dass man sich die Länder nicht abschotten, sondern dass weiterhin global um Wettbewerbsvorteile gekämpft wird, dass danach getrachtet wird, Märkte auszuweiten und Arbeitskosten zu senken.

Seit wann wächst die Wirtschaft?

Wie kam es zu dieser wirtschaftlichen Situation? Überraschend ist, dass die Weltgeschichte in hunderten von Jahren kein Wirtschaftswachstum kannte: Der Autor zeigt, dass dieses erst zaghaft ab dem Jahr 1800 einsetzte und dass erst ab 1950 hohe Wachstumsraten auftraten – also mit Beginn der industriellen Revolution, die auf fossilen Energien beruht und mit Einsetzen der kapitalistischen Produktionsweise, die auf der arbeitsteiligen Produktion und auf der Trennung von Kapital und Arbeitskraft beruht. Charakteristisch für ein kapitalistisches Wirtschaftssystem sind der Zwang zu Wachstum und Profit, gefördert von technischen Entwicklungen in Mobilität und Kommunikation wie dem Schiffs-Containerverkehr und dem Internet. Politisch gefördert wurde die Globalisierung, die seit den 1990er Jahren von den führenden Wirtschaftsnationen betrieben wurde, mittels Deregulierung und Marktöffnungen.

Wer gewinnt, wer verliert?

Wichtig zu betonen ist es Eberhardt-Köster, die weltweite Einteilung in “Gewinner:innen” und “Verlierer:innen” der Globalisierung nicht rein national zu sehen als “Reicher Norden” gegen den “Arm (gemachten) Süden”: Der von Markus Wissen und Ulrich Brandt geprägte Begriff der “Imperialen Lebensweise” bedeutet, dass Kosten und ökologische Probleme vom Norden in den globalen Süden verlagert werden. Betrachtet man die Klassenstrukturen, so sind auch im Norden prekäre Arbeitsverhältnisse zu finden, sodass es auch dort Verlierer:innen der Globalisierung gibt.

Neu ist, dass mit dem Kapitalismus heute ein ökonomisches System weltweit dominiert und – wie das Beispiel China zeigt – der Kapitalismus nicht nur in demokratisch liberalen Systemen funktioniert (die mal mehr, mal weniger stark reguliert sind), sondern auch in autokratisch regierten Staaten.

Wozu dienen Handelsabkommen?

Offene Märkte sind laut Eberhardt-Köster ein wichtiges Wesensmerkmal der heutigen Ökonomie (für Güter, Dienstleistungen, Kapital), und die Handels- und Investitionsabkommen, die häufig die Staaten des globalen Nordens mit jenen des Südens abschließen, dienen der Marktöffnung, aber – wie Eberhardt-Köster betont – auch der Durchsetzung des Privateigentums, also der Verhinderung von Verstaatlichungen z.B. von Rohstoff- und Energievorkommen. Für einen Faktor gilt die Freizügigkeit allerdings nicht: Die Mobilität von Menschen, von Arbeitnehmer:innen, ist streng geregelt.

Plattformökonomie als neues Spielfeld

Die Plattformökonomie – Amazon und Co. – prägt unsere Wirtschaftssysteme als relativ neues Element immer mehr. Es handelt sich hierbei um private Märkte, die durch Netzwerkeffekte die Tendenz entwickeln, dass sie sich auf wenige Anbieter beschränken – nehmen doch die zusätzlichen Kosten für zusätzliche Nutzer:innen in der Masse ab, und es ist attraktiv, sich in einem großen Netzwerk zu tummeln, in dem alle zu finden sind. Wie Thomas Eberhardt-Köster in der Diskussion mit den Zuhörer:innen sagte, stellt der derzeitige Ausprägung des kapitalistischen Systems eine Übergangsphase dar. Die Hochphase der Finanzialisierung sei vorbei – also die Phase mit hohem anlagesuchendem Kapital, in der die Finanzmärkte die Produktion bestimmen – und vielleicht spielten die Plattformen künftig eine zunehmend starke Rolle.

Grüner Kapitalismus funktioniert nicht

Bezogen auf die Ökologie betonte Eberhardt-Köster die zerstörerische Wirkung der Wachstumslogik des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die Lebens- und Konsumweise der Reichen sei das Problem, das nur Regulierung, nicht aber der Markt nicht lösen könne. “Ein grüner Kapitalismus funktioniert nicht”, so seine Schlussfolgerung.

Weitere Themen, die die aktuelle Globaliskierungskritik beschäftigen, kamen ebenfalls zur Sprache in der Buchvorstellung: die Demokratie, die soziale Frage, die zunehmende Verschärfung der Grenzregimes an den Ländergrenzen, die Geschlechterfrage, militärische Auseinandersetzungen. Am Ende des Rundgangs durch die Geschichte der Globalisierung und der Untersuchung ihrer einzelnen Aspekte steht die Frage, wie Globalisierung auch anders funktionieren könnte und wie globale soziale Rechte gestärkt werden können. Thomas Eberhardt-Köster ist es dabei wichtig, sich bei der Suche nach Antworten nicht auf Staaten zu beziehen, also nicht in die Nationalstaaten-Falle zu tappen, sondern die Betroffenen im Blick zu haben.

“Globalisierung neu denken” zeigt historische und mögliche künftige Entwicklungen und ist ein nützliches Rüstzeug für alle, die verstehen und sich für Veränderung einsetzen wollen –  damit wir im Jahr 2035 keine Dystopie erleben, sondern der Utopie ein Stück nähergekommen sind.

 

Das Buch kostet 8,50 Euro und ist im Attac Webshop oder im VSA-Verlag erhältlich.

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